ÐÇ¿Õ´«Ã½

Die virtuelle CaptiveÌýzur Absicherung vonÌýUnternehmensrisiken

Autorenbeitrag | August 2023
  • Der Industrieversicherungsmarkt hat in den letzten Jahren einen erheblichen Wandel erlebt. Zunehmend dynamische Risiken gepaart mit dem Druck auf die Profitabilität der Versicherer mündeten in einer Marktverhärtung mit steigenden Prämien. Gerade im Bereich Financial Lines – beispielsweise für die Managerhaftpflichtversicherung – waren die Kapazitätsverknappung sowie damit einhergehend die Verteuerung einerseits und Reduzierung des Versicherungsschutzes andererseits deutlich spürbar. Großunternehmen hatten Schwierigkeiten, die Risiken zu aus ihrer Sicht vertretbaren Konditionen zu versichern. In diesem Umfeld treten Modelle zur Risikoeigentragung stärker in den Vordergrund.
  • Ìý
  • Naheliegend ist das Captive-Modell, üblicherweise in Form einer sog. Single Parent Captive, bei der das Industrieunternehmen – verkürzt formuliert – ein eigenes Versicherungsunternehmen gründet. Know-how sowie Ressourcen zur Errichtung und zum Betrieb der Captive werden üblicherweise von außen zugekauft. Nicht jedes Unternehmen verfügt jedoch über ausreichende Ressourcen und Know-how, langfristig einen eigenen Versicherer zu etablieren. Neben
  • der Errichtung und dem Betrieb einer klassischen Captive existieren zunehmend auch andere Formen der Risikoeigentragung. In jüngerer Zeit stößt man zusehends auf sog. virtuelle Captives (VC). Insbesondere für Unternehmen, für die ein traditioneller Captive-Ansatz nicht infrage kommt, stellt dieses Konzept eine interessante Alternative zur Selbsttragung von Risiken dar.
  • Bei der VC steht anstelle der Gründung einer Versicherungsgesellschaft derÌýAbschluss eines Versicherungsvertrags, der die ökonomische Wirkungsweise
  • einer Captive-Gesellschaft näherungsweise abbildet. Eine VC ist eine strukturierte Versicherung, bei der der Versicherungsnehmer (VN) das Risiko über die Zeit mittels seiner Prämienzahlung weitestgehend selbst finanziert. Entsprechend steht nicht – wie beim traditionellen Versicherungsvertag – der Risikotransfer
  • und damit die Finanzierung über die Versichertengemeinschaft im Vordergrund, vielmehr verbleibt das ökonomische Risiko in weiten Teilen beim VN. Gleichwohl sieht der Vertag die Weitergabe von tatsächlichen Risiken an den Versicherer vor – andernfalls würde es sich nicht um einen Versicherungsvertrag
  • handeln.
  • Ìý
  • Die Vertragsgestaltung ist grundsätzlich frei. Die wirtschaftliche Nachbildung einer VC über einen Versicherungsvertrag setzt allerdings mehrere zwingende
  • Vertragsbestandteile voraus:
  • Ìý
  • Der Vertrag läuft über mehrere – üblicherweise fünf – Jahre. Die Mehrjährigkeit des Vertrags erlaubt eine bilanzjahresübergreifende Risikofinanzierung
  • per Prämienzahlung. Meist wird ein Schadenlimit vollständig über die Prämienzahlungen ausfinanziert. Ein „Full-Limit“-Schaden im ersten Jahr wird
  • über die Prämienzahlung desselben Jahres sowie der Folgejahre kompensiert. Der Risikotransfer erfolgt i. d. Regel über das zweite Schadenlimit.
  • Treten nach dem ersten „Full-Limit“- Schaden weitere Schäden ein, sind diese nicht mehr oder nur noch zum Teil über die Prämienzahlung finanziert.
  • Dieses Risiko trägt der Versicherer.
  • Ìý
  • Neben einem Schaden- und/oder Jahreslimit wird ein sog. Term-Limit im Vertrag festgeschrieben. Das Term- Limit beschränkt die Schadenzahlungen der Summe nach über die Gesamtlaufzeit des Vertrags. Das entspricht der Funktionsweise einer traditionellen Captive, deren Eigenkapital ebenso die Grenze der Risikotragfähigkeit bildet.

Konstituierend ist die Regelung zurÌýVertragsverlängerung. Bei positivemÌýSchadenverlauf verlängert sich derÌýVersicherungsvertrag. Dazu werdenÌýam Ende eines jeden Jahres die kumuliertenÌýPrämien den kumulierten SchädenÌýgegenübergestellt. Bei positivemÌýSaldo prolongiert der Vertrag um einÌýweiteres Jahr. Umgekehrt läuft der VertragÌýnach seiner Restlaufzeit aus, wenn der Saldo negativ ist. Das deckt sichÌýmit dem Fortführungsprinzip (GoingÌýConcern) einer Captive-Gesellschaft.ÌýSolange die Captive solvent ist, wirdÌýsie im Regelfall weitergeführt.

Die VC kann durch vorzeitige KündigungÌýbeendet werden. Der VN kannÌýden Vertrag bei positivem VertragsverlaufÌýüblicherweise erstmalig nach dreiÌýJahren kündigen. Dann fließt der positiveÌýSaldo des Vertrags (= kumulierteÌýPrämien minus kumulierte Schäden)Ìýnach Abzug einer GewinnbeteiligungÌýdes Versicherers an den KundenÌýzurück. Die Vertragsauflösung entsprichtÌýder freiwilligen LiquidationÌýeiner Captive-Gesellschaft, die jedochÌýeinen seltenen Ausnahmefall darstellt.

Bei positivem Vertragsverlauf habenÌýbeide Seiten – Kunde und VersichererÌý– ein Interesse am Fortbestand desÌýVertrags. Der Versicherer wird angesichtsÌýseiner GewinnerzielungsabsichtÌýbestrebtÌýsein, den Vertrag weiterzuführen.ÌýDazu muss er den Vertrag für denÌýVN attraktiv halten. Um den VN „beiÌýLaune“ zu halten, kann er weitere RisikenÌý(bspw. in Form einer Limit-ErhöhungÌýoder der Integration weitererÌýVersicherungsrisiken) in den VertragÌýaufnehmen. Andererseits wird auchÌýder Kunde eine funktionierende RisikomanagementlösungÌýfortschreibenÌýwollen, zumal ein GewinnrückflussÌýsteuerbar wäre.

·¡°ù±ôä³Ü³Ù±ð°ù³Ü²Ô²µ±ð²Ô:

  • Term-Limit überÌýGesamtlaufzeit desÌýVertrages, darüberÌýhinaus Limit proÌýJahr/Schaden
  • VertragsparameterÌýwie bspw. Limits,ÌýPrämie, Laufzeit,ÌýGewinnbeteiligungÌýsind verhandelbar.
  • „PositiverÌýVertragsverlauf“Ìýmuss definiertÌýwerden, entsprichtÌýim Regelfall einerÌýkumuliertenÌýSchadenquoteÌý< 100 %.

An eine VC sind VoraussetzungenÌýgeknüpft, die sich zum Teil von denÌýVoraussetzungen an einen traditionellenÌýVersicherungstransferÌýunterscheiden.ÌýZunächst ist eine ausreichende finanzielleÌýLiquidität erforderlich. Der VNÌýfinanziert das Risiko zu einem GroßteilÌýüber die Prämie selbst. Das setzt eineÌýentsprechend bemessene Prämie voraus,Ìýdie vom VN jährlich zu entrichtenÌýist. Grundsätzlich gilt: EigentragungÌýerfordert Eigenfinanzierung und damitÌýdas Aufbringen finanzieller Mittel. InsofernÌýunterscheidet sich die VC an derÌýStelle nicht von anderen Formen derÌýRisikoeigentragung. Vorteilhaft bei derÌýVC ist, dass die Finanzierung über dieÌýLaufzeit des Vertrags gestreckt wird.

Die Frage der Bonität entwickelt beiÌýeiner VC eine besondere Bedeutung.ÌýDer Versicherer tauscht in einem gewissenÌýUmfang das Versicherungs- gegenÌýdas Bonitätsrisiko. Beim traditionellenÌýRisikotransfer wird die Prämie zu BeginnÌýder Laufzeit entrichtet. Ein BonitätsrisikoÌýentfällt. Anders bei der VC:ÌýDie Prämie wird über die Zeit „eingesammelt“.

Ein möglicher Schaden imÌýersten Versicherungsjahr wird auchÌýüber die Prämie der Folgejahre finanziert.ÌýEin Ausfall der VersicherungsprämieÌýbedeutet einen FinanzierungsausfallÌýmit der Folge, dass der VersichererÌýauf dem Versicherungsschaden sitzenÌýbleibt. Vor diesem Hintergrund wirdÌýer beim Underwriting besonderesÌýAugenmerkt auf die Bonität des VNÌýlegen. Umgekehrt ist auch der VN gutÌýberaten, der Bonität des VersicherersÌýbesondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Die Höhe der Prämie und dieÌýMehrjährigkeit setzen auch ihn einemÌýhöheren Zahlungsausfallrisiko aus. EinÌýSchaden, der sich am Ende der LaufzeitÌýereignet und vom Versicherer nichtÌýbezahlt wird, führt zu einer „Doppelzahlung“:ÌýPrämienzahlung plusÌýSchadenaufwendung.

Die Finanzierung über die Prämie setztÌýeine Mehrjährigkeit des Vertrags voraus.ÌýSowohl VN als auch VR bindenÌýsich längerfristig. Das setzt VertrauenÌýund Transparenz voraus. Dafür undÌýauch für die praktische Umsetzung istÌýder direkte Austausch mit EntscheidungsträgernÌýund Experten aus anderenÌýrelevanten UnternehmensbereichenÌý(Treasury, Finanzierung etc.)Ìýessenziell. Das VC-Konzept – mit allÌýseinen Besonderheiten – muss nachvollzogenÌýwerden; demgegenüberÌýmuss der VR ein umfassendes VerständnisÌýfür die Risiken entwickeln.

Der Versicherungsvertrag wird individuellÌýauf die Belange des KundenÌýzugeschnitten. Dazu ist das RisikoÌýeigens zu modellieren. ErfahrungsgemäßÌýerfordert es mehrere Anläufe, umÌýeine von allen Seiten getrageneÌýLösung zu entwickeln.

Die ·¡¾±²Ô²õ²¹³Ù³ú³¾Ã¶²µ±ô¾±³¦³ó°ì±ð¾±³Ù±ð²Ô einer VCÌýdecken sich mit den ·¡¾±²Ô²õ²¹³Ù³ú³¾Ã¶²µ±ô¾±³¦³ó°ì±ð¾±³Ù±ð²ÔÌýeiner traditionellen Captive.ÌýSo kann eine VC in einem bzw. mehrerenÌýVersicherungsprogrammen eingesetztÌýwerden.ÌýAuch die Ãœbernahme von D&O-RisikenÌýist möglich. Da es sich bei dem VC-KonzeptÌýum eine Versicherung handelt,Ìýerübrigen sich Bedenken einerÌýunzulässigen Freistellung im HinblickÌýauf die „Side A“-Deckung.ÌýInnerhalb eines VersicherungsprogrammsÌýist ein VC-Engagement sowohlÌýin der Grunddeckung als auchÌýim Exzedenten denkbar. Das „Mischen“Ìývon Risiken bspw. unterschiedlicherÌýVersicherungssparten bietet dem VNÌýdie Möglichkeit, DiversifizierungsvorteileÌýfür sich zu nutzen. GegenläufigeÌýRisken reduzieren das Gesamtrisiko undÌýschaffen damit Finanzierungsvorteile.

Ferner lassen sich VC-KapazitätenÌýauch mit traditionellen VersicherungskapazitätenÌýverknüpfen. Auch einÌýinternationales VersicherungsprogrammÌýkann eingebunden werden.ÌýSo kann die höhere RisikotragfähigkeitÌýder Muttergesellschaft auf die mitÌýweniger Risikokapital ausgestattetenÌýTochtergesellschaften übertragenÌýwerden.ÌýDie Bilanz der Töchter wirdÌýwie beim klassischen RisikotransferÌýeffizientÌýgeschützt.ÌýSämtliche Elemente lassen sich bedarfsgerechtÌýkombinieren. Dabei istÌýsowohl eine Lösung aus einer HandÌýals auch mit unterschiedlichen VersicherernÌýdenkbar.

Bei der VC handelt es sich faktischÌýum einen Versicherungsvertrag;ÌýökonomischÌýbildet eine VC den GedankenÌýder RisikoeigenfinanzierungÌýnach. Damit bietet sie alle VorteileÌýeiner traditionellen Captive, vermeidetÌýaber gleichzeitig die Gründung undÌýden Betrieb einer solchen. Das AufbringenÌývon Eigenkapital, Betriebskosten,ÌýZeitaufwand etc. entfallen.ÌýDer VN „leiht“ sich die Bilanz des VR.ÌýDamit gibt er zwar einen Teil der KontrolleÌýab, reduziert den eigenen AufwandÌýallerdings erheblich und kannÌýseine Ressourcen anderweitig imÌýUnternehmen einsetzen.

Nicht zu unterschätzen ist der VorteilÌýder Ergebnisglättung. Anders als beiÌýder traditionellen Captive, derenÌýBilanz/Gewinn-und-Verlust-RechnungÌý(GuV) als Tochterunternehmen imÌýKonzern konsolidiert wird, wird derÌýSchaden von der VC im Rahmen desÌýVersicherungsvertrags übernommen.ÌýWie auch beim traditionellen RisikotransferÌýtritt der Schaden in der GuVÌýdes VN nicht zutage. ErgebniswirksamÌýsind lediglich die Prämienzahlungen.ÌýDer in der VC integrierte RisikotransferÌýentlastet darüber hinaus die Bilanz/ÌýGuV. Beide Merkmale schaffen zusätzlicheÌýPlanungs- und Budgetsicherheit.

Bei der Abwicklung bietet eine VC denÌýVorteil, dass sich der VN sämtlicher ausÌýdem klassischen Risikotransfer bekannterÌýServices des Versicherers bedienenÌýkann. Das beinhaltet das UnderwritingÌýund die Schadenbearbeitung, kannÌýsich aber auch, wie bereits erwähnt,Ìýauf die Umsetzung eines internationalenÌýVersicherungsprogramms erstrecken.ÌýEine Lösung aus einer HandÌýbietet Abwicklungsvorteile.

Die VC erweitert die HandlungsoptionenÌýim Risikomanagement. SieÌýverkörpert ein weiteres Instrument imÌýUmgang mit unternehmenseigenenÌýRisiken. Schlussendlich kombiniertÌýsie den Gedanken der RisikoeigentragungÌýmit dem des Versicherungsvertrags.ÌýDies schafft Vorteile und bietetÌýdem VN auch ohne Gründung einerÌýtraditionellen Captive die Möglichkeit,Ìýdie eigenen Risiken effizient im KonzernÌýzu managen.
Dieser Artikel wurde in "PHi Haftpflicht international – Recht & Versicherung |ÌýSonderdruck ausÌýPHi 3–4/2023, S. 94–96"Ìýveröffentlicht.